Wie Bedürfnisse ins Spiel kommen

09.12.2025 | Allgemeines, Gamespädagogik

Jugendlicher hält ein Smartphone, auf dem ein Handyspiel läuft.

Alle Menschen haben psychologische Grundbedürfnisse. Doch gerade in der Jugendzeit sind sie entwicklungsbedingt oft frustriert. Games eröffnen neue Spielräume, um frustrierte Bedürfnisse zu befriedigen. Das birgt Potenziale, bringt aber auch Probleme. Um welche Bedürfnisse es geht und wie wir sie adressieren können, betrachten wir in diesem Beitrag.

Studien zeigen, dass beim Gaming nicht alles Spiel und Spaß ist. Für manche werden Games zur Kostenfalle, einige können sogar süchtig nach ihnen werden. Eine Studie der DAK fand heraus, dass 2024 mehr als 700.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland problematische Nutzungsmuster aufwiesen.1 Dabei geht es nicht nur darum, warum es einigen Menschen schwer fällt, ihren Medienkonsum zu regulieren. Dahinter steht auch die Frage, warum Spiele so erfolgreich sind und was Kinder und Jugendliche an dem Medium fasziniert. Wenn wir das besser verstehen, können wir vielleicht auch besser darauf eingehen.

Mit der Frage, was Menschen eigentlich antreibt, setzt sich die Motivationspsychologie intensiv auseinander. Ein bestimmtes Konstrukt taucht dabei immer wieder auf: Bedürfnisse. Sie sind mächtige Antreiber, denn sie gehen mit dem Gefühl eines Mangels einher – und dem Wunsch, ihn zu beheben.2 In den vergangenen Jahrzehnten war die Bedürfnispyramide des Psychologen Abraham Maslow3 besonders beliebt. Diesem Modell liegt die Annahme zugrunde, dass unsere Bedürfnisse hierarchisch organisiert sind. Einige Bedürfnisse sind also wichtiger als andere und solche, die weiter oben in der Pyramide stehen, kommen erst zum Tragen, wenn die unteren erfüllt sind. Ein soziales Bedürfnis, wie etwa ein Online-Spiel mit Freund*innen zu zocken, würde sich erst dann einstellen, wenn körperliche Bedürfnisse wie Hunger und Durst gestillt sind.

Bei näherer Betrachtung passt Maslows Theorie aber nicht zu dem, was wir bei Menschen beobachten. Ein eindrückliches Gegenbeispiel für seine Annahmen ist etwa der buddhistische Mönch Thich Quang Duc, der Berühmtheit dadurch erlangte, dass er sich in den 1960er Jahren aus Protest selbst in Brand steckte. Er war also dazu in der Lage, ganz grundlegende Bedürfnisse zu übergehen, um für seine Ideale einzutreten. Weniger drastische Beispiele erlebten wir erst kürzlich, als Mitglieder der “Letzten Generation” sich aus Protest auf Straßen klebten. Auch dass der eine oder die andere stundenlang am Computer spielt und das Essen oder Trinken dabei völlig vergisst, lässt sich mit der Bedürfnispyramide nicht gut erklären.

Eine gute Bedürfnistheorie

Auch wenn Maslows Pyramide sich empirisch nicht halten konnte, heißt das nicht, dass Bedürfnistheorien insgesamt Unsinn wären. Im Gegenteil: Es gibt sehr gut untersuchte Theorien, die wissenschaftlich etabliert und anerkannt sind. Eine fundierte Theorie kann uns dabei helfen, den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen vor dem Hintergrund ihrer Bedürfnisse besser zu verstehen. Einer der am besten erforschten Ansätze dafür ist die Selbstbestimmungstheorie von Richard Ryan und Edward Deci.4

Bedürfnisse sind in dieser Theorie nicht hierarchisch organisiert, sondern stehen gleichberechtigt nebeneinander. Ryan und Deci haben zudem drei ganz konkrete Bedürfnisse bei ihrer Forschung identifiziert: Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Verbundenheit. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, warum diese Bedürfnisse gerade bei Jugendlichen oft frustriert sind – und weshalb Games besonders gut darin sind, sie zu befriedigen.

In Games muss die Freiheit wohl grenzenlos sein

Bei dem Bedürfnis nach Autonomie geht es um die Freiheit, das tun zu können, was man tun möchte. Wenn wir einen Handlungsspielraum haben, erleben wir ein Gefühl der Freiwilligkeit und Unabhängigkeit. Frustriert ist dieses Bedürfnis hingegen, wenn unsere Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt sind oder wenn wir so stark fremdbestimmt sind, dass wir selbst gar nicht entscheiden können. Gerade in der Jugendzeit ist das häufig der Fall: Zuhause bestimmen die Eltern, in der Schule geben Lehrkräfte den Ton an. Dass man lieber mit Freunden spielen würde, als Mathe zu machen, spielt dabei kaum eine Rolle. Hinzu kommt die Entwicklungsaufgabe, sich mit den Normen und Erwartungen der Gesellschaft auseinanderzusetzen, die zunächst als Beschränkung der eigenen Autonomie erlebt werden kann.

Eine Burg im Spiel Minecraft.

In Minecraft können Spieler*innen ihren eigenen Bauprojekte umsetzen – das stärkt das Autonomie-Erleben.

In Games gelten andere Regeln. Spiele sind grundsätzlich durch freiwillige Teilnahme gekennzeichnet und können anders als Familie und Schule selbst gewählt werden. Digitale Spiele eröffnen zudem viele Freiräume und Handlungsmöglichkeiten, die einen positiven Kontrast zu den Beschränkungen des Alltags bilden. Man kann sich nicht nur aussuchen, was und mit wem man spielt, sondern man kann sich in vielen Games auch individuell ausdrücken. Viele Online-Spiele, wie beispielsweise Fortnite, bieten zahlreiche Skins und Kostüme an, die freigeschaltet oder für Geld gekauft werden können, um die eigene Spielfigur zu individualisieren. Beliebte Spiele wie Minecraft und Roblox sind zudem gute Beispiele dafür, in digitalen Spielen eigene Welten zu erschaffen und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Auf diesen Wegen können Games das Bedürfnis nach Autonomie ansprechen und auch die Kreativität fördern. Risiken entstehen allerdings dadurch, dass die freien Spielabläufe prinzipiell kein Ende haben, wie es bei einem Spiel mit Fokus auf eine Geschichte meistens der Fall ist. So werden die freien Gestaltungsprinzipien zu einem erheblichen Bindungsfaktor, der unbegrenztes Weiterspielen begünstigt. Besonders jüngere Spieler*innen brauchen bei solchen Games Unterstützung, um ihre Spielzeiten zu regulieren. Hierzu eignen sich gemeinsame Absprachen mit Methoden wie dem Mediennutzungsvertrag.

Zeigen, was man kann

Ein weiteres Bedürfnis besteht darin, sich selbst als kompetent zu erleben, indem man sich effektiv mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Es wird befriedigt, wenn man gut dazu in der Lage ist, eigene Ziele zu erreichen und gewünschte Resultate zu erzielen. Im Kindes- und Jugendalter kann dieses Bedürfnis frustriert sein, weil stark vorstrukturierte Umgebungen wie Schule mitunter wenig Gelegenheiten bieten, Fähigkeiten in Bereichen zu zeigen, die nicht direkt zu einem Schulfach gehören. Zudem können Fehlschläge oft negative Konsequenzen haben, beispielsweise in Form von schlechten Schulnoten und enttäuschten Eltern. Auch eine mangelnde Wertschätzung für die Erfolge der Kinder kann weiter dazu beitragen, dass Gefühle von Kompetenz und Selbstwirksamkeit sich nicht einstellen.

Games wiederum haben positives Feedback über die eigenen Erfolge fest eingebaut. Sie präsentieren uns überwindbare Hindernisse und winken mit Belohnungen, wenn wir sie meistern. Fehlschläge haben dabei keine drastischen Konsequenzen. Hüpft man mit Super Mario in einen Abgrund, verliert man zwar ein Leben, darf es aber gleich nochmal versuchen. Großzügige Checkpoints und Speichermöglichkeiten federn den Neustart eines Spielabschnitts weiter ab, sodass man sich gefahrlos ausprobieren kann. So sind Games eine gute und verlässliche Quelle von Erfolgserlebnissen, die von Power Fantasies – also Geschichten über mächtige Figuren – wie in Assassin’s Creed oder Horizon Zero Dawn noch weiter unterstrichen werden.

Eien Figur mit Pelzkleidung und einem futuristischen Schwert steht einem greoßen Roboter-Dinosuarier gegenüber.

In Horizon Zero Dawn überwinden wir Hürden und bekämpfen Gegner – dabei erleben wir uns selbst als kompetent und mächtig.

Kinder können in Games mitunter Fähigkeiten zeigen, die in Schule und anderen Bereichen nicht immer abgefragt werden. Einige davon, wie etwa algorithmisches Denken, komplexes Problemlösen und Programmieren, können für spätere Schul- oder Berufserfolge sogar hilfreich sein. Allerdings ist Kompetenzerleben im digitalen Spiel ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Videospielabhängigkeit, wenn wir Erfolge nur noch dort erleben und nicht mehr aus anderen Lebensbereichen.5 Wir sollten deshalb darauf achten, die Freizeit zu diversifizieren und nicht nur auf ein einzelnes Pferd zu setzen. Neben dem Computerspiel sollten auch Angebote wie Sportvereine und weitere Hobbys ihren Platz finden. Läuft es in einem Bereich mal nicht so gut, kann man Erfolge immer noch in anderen Bereichen erzielen.

Gemeinsam spielen

Das dritte Bedürfnis in der Selbstbestimmungstheorie ist das nach sozialer Verbundenheit. Hierbei geht es um das Gefühl, dass wir Bedeutung für andere haben – und dass andere Bedeutung für uns haben. Dieses Bedürfnis ist dann befriedigt, wenn wir Teil einer sozialen Gruppe sind, in der wir einen Beitrag leisten oder eine Rolle haben.

In keiner anderen Lebensphase sind Akzeptanz und Anerkennung durch Gleichaltrige so wichtig wie in der Jugendzeit. Die sozialen Vergleiche, die wir dafür anstellen müssen, können aber auch großen Druck auslösen, sich den vermeintlichen Regeln der Gruppe anzupassen und ihren Anforderungen gerecht zu werden. Multiplayer-Games, insbesondere diejenigen, die man online mit Menschen aus aller Welt spielen kann, machen einige gute Angebote, um uns mit anderen zu vergleichen. Kompetitive Spiele wie FIFA bzw. EA SPORTS FC oder Fortnite erlauben uns den sozialen Leistungsvergleich mit anderen. Einige Spiele pflegen Highscores oder Ranglisten und wir können oft genau sehen, wie wir im Vergleich zu unseren Freund*innen abschneiden.

Fußballspieler vom britischen Verein Tottenham Hotspur spielen gegen Spieler vom deutschen Verein Borussia Dortmund.

In Mutliplayer-Spielen wie EA SPORTS FC können wir uns mit anderen messen oder gemeinsam Erfolge feiern.

Kooperative Spiele können sogar gemeinsame Erfolgserlebnisse für Gruppen schaffen, die zusammen spielen. Bei Online-Rollenspielen können Spieler*innen kleine Gruppen bilden, die gemeinsam bestimmte Aufgaben erfüllen und starke Bossgegner zusammen besiegen. Dabei kommt allen Beteiligten eine entscheidende Rolle zu, beispielsweise die eines Heilers oder einer Angreiferin. Bei Team-Spielen wie League of Legends, Overwatch oder Valorant verhält es sich ganz ähnlich. Beim Team-Spiel wird deutlich, dass jede*r eine wichtige Rolle erfüllt und einen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg leistet.

Auch wenn Online-Freundschaften ähnliche Funktionen erfüllen können wie Offline-Beziehungen, ist die soziale Komponente von Online-Games ein sehr starker Bindungsfaktor und damit auch ein Risiko für eine Videospielabhängigkeit. Und weil der eigene Beitrag im Team so entscheidend ist, ist auch der Druck, regelmäßig dabei zu sein, relativ groß. Ähnlich wie beim Mannschaftssport möchte man das eigene Team schließlich nicht im Stich lassen. Auch der Druck, im Spiel immer wieder Geld für neue Skins auszugeben, kann hinzu kommen, beispielsweise weil man andere beeindrucken oder einfach nur dazugehören möchte. Ganz ähnlich wie bei Markenkleidung in der Offline-Welt.

Bedürfnisse kennen, Gaming besser verstehen

Dass Games gut darin sind, unsere Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Verbundenheit zu erfüllen, ist für sich genommen weder gut noch schlecht. Wissen um psychologische Grundbedürfnisse kann uns dabei helfen, die Motive hinter einer konkreten Mediennutzung besser zu verstehen. Ist ein Bedürfnis in anderen Lebensbereichen vielleicht besonders frustriert? Vielleicht können wir weitere Angebote dafür machen, dieses Bedürfnis anzusprechen. Wenn wir wissen, wie es um ein Bedürfnis steht und welche Angebote dafür zur Verfügung stehen, können wir auch besser beurteilen, ob ein Spiel zum Risikofaktor wird und wann Handlungsbedarf besteht. In jedem Fall hilft es, Gaming besser zu verstehen – sogar dann, wenn einem der Zugang zu dem Medium sonst schwerfällt.

Quellen

1 https://www.dak.de/dak/unternehmen/reporte-forschung/dak-studie-mediensucht-2024_91442

2 https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/beduerfnis/

3 Maslow, A. H. (1943). A theory of human motivation. Psychological review, 50(4), 370.

4 Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2008). Self-determination theory: A macrotheory of human motivation, development, and health. Canadian psychology/Psychologie canadienne, 49(3), 182.

5 Allen, J. J., & Anderson, C. A. (2018). Satisfaction and frustration of basic psychological needs in the real world and in video games predict internet gaming disorder scores and well-being. Computers in Human Behavior, 84, 220-229.