Inklusion und Diversität im Gaming

04.02.2021 | Diversität

Das Projekt Gaming ohne Grenzen startete kurz vor Weihnachten 2020 mit dem neuen Format Fragen ohne Grenzen. Die beiden Botschafter*innen Melly und Dennis stellten sich zahlreichen Fragen rund um Inklusion, Barrieren in Games und Diversität in der Gaming-Community, gaben ehrliche Antworten und schilderten persönliche Erfahrungen.

Von Yannick Warkus

Saskia und Karo im Livestream mit Melly und Dennis.

Melanie Eilert und Dennis Winkens haben beide eine körperliche Behinderung, zocken leidenschaftlich gerne und stehen Gaming ohne Grenzen mit ihrer Expertise zu Barrierefreiheit in Games zur Seite. Für das neue Format sammelte das Projektteam über ihre Social-Media-Kanäle und im Kreis der Freund*innen und Kolleg*innen Fragen, welche es den beiden in einem Livestream auf Twitch stellte. Ergänzt wurden diese durch neugierige Zwischenfragen und Kommentare live aus dem Chat. Aus diesen Zutaten formte sich ein lockeres, ungeniertes und informatives Gespräch.

Melly und Dennis kamen schon in ihrer Kindheit zum Gaming. Für beide begann das Hobby auf dem Game Boy. Mit (fortschreitender) körperlicher Behinderung wurde digitales Spielen immer schwieriger und war irgendwann nicht mehr oder nur sehr begrenzt möglich. Doch insbesondere in den letzten fünf Jahren eröffneten sich durch innovative Eingabegeräte und zugänglichere Spiele neue Wege, wodurch sie sich wieder verstärkt ihrer Passion widmen konnten. Heute versuchen beide über ihre Kanäle auf Social Media, den eigenen Blogs beziehungsweise Twitch und generell ihr öffentliches Auftreten Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und zu zeigen wie sie selbst zocken, um dabei als Vorbild und Hilfe für andere zu dienen.

Innovative Eingabegeräte

QuadStick: Ein Mundstück mit mehreren pneumatischen Sensoren.

Maßgeblich für das Wiederaufleben des Hobbys waren neue Möglichkeiten, Computer und Konsolen zu steuern. Dennis nutzt für die gesamte Bedienung seines Computers den sogenannten QuadStick (auch Mundmaus), eine Pneumatiksteuerung für Tetraplegiker, mit der sich durch diverse Kombinationen von Blasen und Saugen am Mundstück verschiedene Befehle erzielen lassen. Diese lassen sich durch Button-Remapping, also dem Ändern der Knopfbelegung, individuell und auf die spezielle Nutzung ausgerichtet anpassen. Nach einer längeren Einarbeitungsphase und intensiven Auseinandersetzung kann Dennis mittlerweile mit der kleinen Box fast ohne Einschränkungen alle gängigen Systeme bedienen.

Melly greift auf den Xbox Adaptive Controller zurück, kombiniert mit einem weiteren Controller. Verknüpft werden sie mit der Xbox Copilot-Funktion. An den Xbox Adaptive Controller lassen sich zusätzlich externe Geräte wie Tasten anschließen, welche direkt am Controller oder auch am Körper befestigt werden können. Die Tasten sind damit besser und mit weniger Anstrengung erreichbar und machen das Spielerlebnis umfangreicher. Für Melly ein echter Türöffner in viele Spielewelten.

Xbox Adaptive Controller mit zusätzlichen Tasten.

Mithilfe dieser Eingabegeräte vereinfachte sich der Zugang zu Spielen deutlich. Das Abbrechen von Games primär wegen der Steuerung kommt immer seltener vor. Das Einstellen sei teilweise komplex und auch langwierig, aber prinzipiell umsetzbar. Dann fallen Melly doch noch Beispiele ein, bei denen sie Schwierigkeiten hatte: Ori and the Blind Forest und dessen Nachfolger. Trotz großer Begeisterung für die atmosphärische Sounduntermalung und die detailreiche visuelle Gestaltung, sei das Steuern auf zu schnelle Bewegungen und Richtungswechsel ausgelegt und damit leider nicht spielbar. Oder auch das heiß erwartete Cyberpunk 2077: hier sei das Erlebnis eher durch Arbeit als durch gemütliches Spielen geprägt.

„Das perfekte Spiel“

Chase aus Starlink: Battle for Atlas: Ihre Arm- und Beinprothesen stehen nicht im Mittelpunkt.

Bei der Frage nach Repräsentationen von Menschen mit Behinderung in Videospielen fällt auf, dass vor allem stereotypisierte und negative Darstellungen vorherrschend sind. Als Beispiel wird die Figur der Chloe Price in Life is Strange genannt. Spoiler: Für die im Rollstuhl sitzende Chloe stellt ihre Behinderung ein großes Übel dar, den Ausweg aus ihrer Situation sieht sie im Suizid beziehungsweise in der Sterbehilfe. Auch wenn positiv anzumerken ist, dass Life Is Strange der Thematik Raum gibt, was in wenigen Spielen der Fall ist, stolpert das Spiel letztlich über ein Narrativ, das Behinderungen als große Last und unüberwindbare Hürde widergibt. Wichtig wären mehr Spiele, die Akzeptanz und Erfüllung des Lebens verbildlichen und damit ermutigen und wertschätzen. Häufig nehmen Behinderungen den Vordergrund der Ausgestaltung einer Figur und deren Erzählung ein. Differenzierte, von dieser Norm abweichende Darstellungen fallen den Redner*innen auf Anhieb wenige ein.

Eine Pauschalantwort wie das perfekte Spiel aussieht, können die beiden nicht bieten. Der Grundstein sei, dass im Spieldesign selbst möglichst wenig Barrieren vorhanden seien. Essenziell sei beispielsweise eine simple Steuerung und die Ausgabe von Informationen auf zwei Kanälen (Bild und Ton). Im Idealfall lässt sich das Spielerlebnis möglichst individuell einstellen in Bezug auf die Steuerung, Darstellungsweisen und auch die Schwierigkeit. Melly unterstreicht, dass Schwierigkeit immer ein subjektives Empfinden ist und sich deswegen auf die Person anpassen lassen sollte. Unterscheiden könne man auch verschiedene Aspekte, beispielsweise Kämpfen, Rätseln und Bewegung wie bei Shadow of the Tomb Raider. Als positive Beispiele werden zudem The Last of Us 2 und Celeste genannt, die mit ihren hilfreichen Einstellungsmöglichkeiten auch gut sichtbar für mehr Awareness sorgen. Außerdem werden solche Spielhilfen nicht nur von Menschen mit Behinderung gerne verwendet.

Wünsche für die Zukunft der Games-Branche

Barrierefreiheit von Anfang an in den Entwicklungsprozess eines Spiels einzubeziehen, das wünschen sich Melly und Dennis. Personen mit verschiedensten Behinderungen und Bedürfnissen sollen früh aktiv zur Seite stehen und ihre Meinungen und Erfahrungen teilen. Viele Gamer*innen wären sofort bereit, aufkommende Fragen zu beantworten und Feedback zu geben. Ein Netzwerk von Gamer*innen und Entwickler*innen zum direkten Austausch und Kontakt wäre besonders praktisch. Für die digitale wie auch analoge Zukunft erhoffen sich die beiden, dass Inklusion zur Normalität wird und Zugang für alle von Beginn an mitgedacht und integriert wird.

Das gesamte spannende Gespräch findet sich als Videoaufzeichnung auf YouTube und als Podcast auf Spotify. Dort erzählen sie unter anderem noch von ihren persönlichen Spiele-Highlights 2020 und was sie über die neue Konsolen-Generation zu sagen haben.

Bildquellen:

https://www.quadstick.com/shop/quadstick-fps-game-controller

https://www.xbox.com/de-DE/accessories/controllers/xbox-adaptive-controller

https://starlink.ubisoft.com/game/de-de/starlink/pilots/chase