Packshot von Gone Home: Ein dunkles Haus mit einem erleuchteten Fenster. Darüber ein leuchtender Sternenhimmel.
Spielbeurteilung

Gone Home

Erzählexperiment, das durch starke Charaktere & Detailreichtum der erkundbaren Umgebungen glänzt.

In einem dunklen Kellerraum stapeln sich Kartons und Möbel.
Ein Familienportrait auf dem ein Mann, eine Frau und zwei Mädchen abgebildet sind.
Im Vordergrund ein altes Ticket für ein Theaterstück. Im Hintergrund ein dunkles Wohnzimmer.
Das Deckblatt eines feministischen Magazins in Comic-Optik.
4
5

Allgemeines

Vertrieb: The Fullbright Company
Spielewebsite: Website aufrufen
Erschienen: 15. August 2013
Genres:

Jugendschutz & Altersempfehlung

USK Alterskennzeichen

USK ab 6
USK ab 6 freigegeben

Spielmodi:

  • nur alleine spielbar

Pädagogische Altersempfehlung

12
spielbar ab 12 Jahren

Spielbeschreibung

Nachdem Kaitlin Greenbriar ihren Schlussabschluss mit einem einjährigen Auslandsaufenthalt gefeiert hat, kehrt sie im Sommer 1995 in die USA zurück. Doch als sie das erste Mal vor dem Haus steht, in welches ihre Eltern und ihre Schwester Sam während ihrer Abwesenheit gezogen sind, wartet eine böse Überraschung auf sie. Statt ihrer Familie entdeckt Kaitlin lediglich eine Notiz ihrer Schwester an der Tür. Diese besagt, dass Sam fort sei und man nicht nach ihr suchen solle. Umgehend sieht sich Kaitlin von der Frage geplagt, was mit ihrer Schwester geschehen ist und warum das neue Grundstück verlassen ist: der Beginn einer Entdeckungsreise durch das Haus der Greenbriars, das den Spielenden Stück für Stück die Antworten auf Kaitlins Fragen aufblättert. Gone Home ist der Debüttitel des nordamerikanischen Entwickler*innen-Teams The Fullbright Company und sorgte bereits kurz nach der Veröffentlichung für viel Resonanz. Nach mehreren Auszeichnungen sorgte das Projekt auch über die Spielebranche hinaus für Aufmerksamkeit und oftmals wurde hinterfragt, ob Gone Home im klassischen Sinne als Spiel zu bezeichnen ist oder nicht. Immerhin verzichtet der Titel auf jegliche Form von spielerischer Herausforderung und stellt stattdessen das Erforschen einer alltäglichen Familiengeschichte in den Vordergrund. So werden den Spielenden weder das Lösen von Rätseln noch schnelle Reflexe abverlangt. Entscheidend, um sich auf den Titel einzulassen, ist schlicht und ergreifend die Fähigkeit, Empathie mit den persönlichen Geschichten der Protagonisten zu empfinden.

Pädagogische Beurteilung

Willkommen im Hause der Familie Greenbriar

Sobald sich die Spielenden während eines tosenden Gewitters im verlassenen Haus wiederfinden, liegt der Gedanke nahe, dass das verlassene Familienanwesen Zentrum von schockierenden Ereignissen geworden ist. Geschickt spielen die Entwickler*innen zunächst mit der Erwartungshaltung, einen interaktiven Horror-Thriller zu spielen, was sich jedoch schon bald als Finte herausstellen soll. Aus der Ego-Perspektive erforschen die Spielenden die unzähligen Räume des Hauses und stoßen auf etliche Briefe, Tonbandaufnahmen oder Notizen, die Kaitlins Familie trotz ihrer Abwesenheit so plastisch erscheinen lassen, als seien sie real existierende Menschen. Während das Tagebuch der verschwundenen Schwester – portionsweise vorgetragen – mehr über die Haupthandlung verrät, liegt es dabei am Spielenden selbst, wie tief er in die Lebenswelt der amerikanischen Familie eintauchen möchte. Besonders dieser voyeuristische Aspekt kann hierbei den Spieler reizen, in das Leben der Familie einzutauchen, während Spielende, die an Actionsequenzen interessiert sind, diese hier vergebens suchen.

Wühlen in fremden Sachen

Jeder Raum ist gefüllt mit persönlichen Gegenständen und Alltagsobjekten, von denen sich fast jeder in einer Nahansicht genauer inspizieren lässt, sofern die Spielenden dies möchten. Hierbei fällt auf, dass die Spieler*innen, die die Geschichte möglichst schnell abschließen möchten nicht länger als zwei Stunden brauchen werden, während Spielende, die das Haus und alle familiären Artefakte genau untersuchen zwar länger brauchen, dafür aber mehr von der Hintergrundgeschichte erfahren. Wer sich also die Mühe macht, alle Briefe zu lesen und sämtliche Gegenstände zu betrachten, dürfte für bis zu vier Stunden beschäftigt werden. Wenig überraschend lässt der zweite Ansatz Gone Home dabei zu einer ungleich intensiveren Erfahrung werden. Der Verzicht auf spielerische Herausforderung bringt hierbei den großen Vorteil mit sich, dass das Vorantreiben der Geschichte nicht ins Stocken gerät.

Grafik mit viel Liebe zum Detail

Selbst wenn sich die Optik des Hauses technisch nicht auf höchstem Niveau bewegt, ist es nicht zuletzt der schier unglaubliche Detailreichtum der Inneneinrichtung, der für eine lebensechte Spielwelt sorgt. Mit viel Charme wird hier eine Vielzahl liebevoller Details ausgestellt, die an die 90er Jahre erinnern. Seien es u.a. abspielbare Kassetten mit zeitgenössischer Rockmusik, Konzertposter, ein Magazin mit 90er-Ikone Kurt Cobain auf dem Cover, eine Vielzahl an Verweisen auf die Videospielkultur des Jahrzehnts oder ein TV-Programm, das an damals beliebte Serien wie Akte X erinnert. Selten hat ein Videospiel sich so viel Mühe dabei gegeben, eine völlig organische Welt zu erschaffen bzw. in diesem Fall Bezug auf den 90er-Hintergrund zu rekonstruieren.

Ernstzunehmende Thematiken ohne Schreckmomente

Als nicht minder lebensecht erweisen sich die unzähligen, hervorragend geschriebenen und vertonten Dokumente, die den Spielenden mehr über die Geschichte der Greenbriar-Familie erzählen. Ohne jemals in kitschige oder nicht jugendfreie Gefilde abzudriften, stellt Autor Steve Gaynor völlig normale Menschen mit all ihren täglichen Nöten und Sorgen dar. Dabei wird besonders großer Wert auf die Gefühlswelt von weiblichen Heranwachsenden an der Schwelle zum Erwachsenenalter gelegt. Am Ende wird sich Gone Home nämlich als einfühlsame Geschichte um das Erwachsen werden erweisen, die ihre Charaktere zu jedem Zeitpunkt ernst nimmt. Wer nun auf einen grausigen Thriller-Twist gewartet hat, mag am Ende dieses Titels bitter enttäuscht werden. Konsequent verweigert sich die Fullbright Company sensationslüsternen Erwartungen und der Knall am Ende bleibt aus. Stattdessen werden wir „lediglich“ Zeuge eines kleinen Familiendramas, wie es sicherlich in unserer alltäglichen Welt nicht unüblich ist. Wer sich allerdings auf die intime Erzählweise der interaktiven Geschichte eingelassen hat, wird womöglich an diesem Punkt bereits eine so enge Verbindung zu den Figuren aufgebaut haben, dass ihn oder sie die Endauflösung umso mehr berührt.

Fazit

Die intime, kleine Geschichte der Greenbriar-Familie mag von unspektakulärer Natur sein. Und dennoch bringt die lebensechte Umsetzung ein enormes Potenzial mit sich, die Spielenden zu berühren, die sich auf das Konzept dieses Titels einlassen. Da das experimentelle Projekt auch in der deutschen Box-Version lediglich über englische Sprache und Texte verfügt, sind entsprechende Sprachkenntnisse von Nöten. Trotz der USK6-Freigabe dürfte Gone Home allerdings erst ab einem Alter interessant werden, in dem man sich selbst mit den Problemen an der Schwelle zur Erwachsenenwelt konfrontiert sieht. Darüber hinaus mag sich manch junger Mensch in der nicht-virtuellen 90er-Jahre-Welt von Gone Home zwar fremd fühlen, allerdings erweist sich das Spiel als beeindruckende Reise in die Vergangenheit. Grundsätzlich besteht keine Frage darin, dass es sich beim Debüt der Fullbright Company nicht um einen Titel für alle handelt. Wer sich allerdings von der Erwartungshaltung an traditionelle Videospiele lösen kann, bekommt als Belohnung eine faszinierende Erfahrung geboten.