Cover von The Stanley Parable
Spielbeurteilung

The Stanley Parable

Faszinierendes Experiment, das sich intellektuell mit den Funktionsweisen des Mediums Videospiel auseinandersetzt.

Ein leeres Büro bei Nacht. Es liegen viele Dokumente auf dem Boden herum und viele Schubladen der Schränke sind aufgemacht worden.
Ein Mann sitzt in einem eher kleinen Büro und wird von hinten mit einem Kreisförmigen Licht angestrahlt.
Ein Menschenleerer Büroraum mit mehreren Schränken. Dokumente liegen in einer Ecke auf dem Boden verteilt. Es gehen Türen mit verschiedenen Nummern von dem Raum weg.
4
5

Allgemeines

Vertrieb: Galactic Cafe
Spielewebsite: Website aufrufen
Erschienen: 31. Juli 2011
Genres:

Jugendschutz & Altersempfehlung

USK Alterskennzeichen

Icon USK 12
USK ab 12 freigegeben (getestet im IARC Verfahren)

Spielmodi:

  • nur alleine spielbar

Pädagogische Altersempfehlung

14
spielbar ab 14 Jahren

Spielbeschreibung

Im Jahr 2013 veröffentlichte der US-Entwickler Galactic Cafe den Experimentaltitel The Stanley Parable. Dieser verzichtet komplett auf jedwede Form von spielerischer Herausforderung. Im Gegenzug setzt er die Bereitschaft der Spielenden voraus, sich rein intellektuell mit dem Medium Videospiel auseinanderzusetzen. Einerseits stehen dabei Fragen wie „Was ist Realität?“ oder „Wieviel Kontrolle besitze ich eigentlich über mein eigenes Leben?“ im Vordergrund. Andererseits funktioniert der Titel nicht zuletzt als Satire auf die Tricks, mit denen Spieleentwickler ihr Publikum in virtuelle Welten entführen. Dass The Stanley Parable am Ende weitaus mehr Fragen als Antworten zu bieten hat, wird sich letztlich als eine seiner größten Stärken erweisen.
Jeden Morgen sitzt Stanley pünktlich in seinem winzigen Büro. Stets zur selben Uhrzeit erhält er über seinen Computer die Arbeitsanweisungen für den weiteren Tag. Niemals würde er auch nur auf den Gedanken kommen, einen Auftrag zu hinterfragen oder seine Arbeit schleifen zu lassen. Er ist das perfekte Rad im Getriebe.
Zumindest bis zu einem schicksalsträchtigen Morgen, an dem sein Computerbildschirm keine Direktiven für ihn parat hält und sich zu allem Überfluss herausstellt, dass sämtliche seiner Kollegen verschwunden sind. Auf der Suche nach Antworten beginnt für Stanley eine Erfahrungsreise, nach der nichts mehr sein wird wie zuvor.

Pädagogische Beurteilung

Folgen oder Widersetzen?

Aus der Ego-Perspektive wird Stanley von nun an durch den riesigen Bürokomplex geführt. Stets wird er dabei von einem überragend intonierten Erzähler begleitet. Dieser kommentiert beispielsweise jede Entscheidung des Spielenden. Ob man seinen permanent einfließenden Vorgaben folgen möchte, ist dabei Ermessensache. Wenn er etwa der Erzählung mit den Worten „und dann ging Stanley durch die linke Tür“ vorausgreift, besteht genauso die Möglichkeit, durch die rechte Tür zu gehen. Gerade aus dem gewollten Bruch der vermeintlichen Erwartungen, die der Entwickler an den*die Spielende hegt, erstehen reihenweise Situationen, die an Absurdität und Einfallsreichtum kaum zu übertreffen sind. Nicht selten bewegt sich The Stanley Parable in solchen Fällen im Bereich des Surrealen.
Wer hingegen einfach brav den Anweisungen des Erzählers folgt, wird bereits in knapp zehn Minuten auf eine wenig überraschende Auflösung gestoßen sein. Im Keller des Gebäudes transformiert eine gigantische Gedankenkontrollmaschine Menschen zu manipulierbaren Objekten. Wird die Apparatur zerstört, kann Stanley endlich sein altes Leben hinter sich lassen und sich an einen Ort der Freiheit begeben.

Ende nicht in Sicht

Doch wer nun dachte, damit wäre The Stanley Parable bereits abgeschlossen, wird seinen Irrtum schnell erkennen, denn genaugenommen hat dieser Titel kein Ende. Stattdessen findet man sich umgehend an den Startpunkt in Stanleys Büro zurückversetzt. Werden beim nächsten Durchlauf andere Entscheidungen getroffen, bekommt der*die Spielende einen völlig unterschiedlichen Verlauf beziehungsweise ein komplett abweichendes Endszenario geboten. So beginnt das Spiel immer wieder aufs Neue.

Die Illusion der Kontrolle

Dass sich die Grafik als nicht mehr ganz taufrisch erweist, trübt das Gesamtbild in keinster Weise. Rätsel oder andere fortschritthemmende Elemente treten grundsätzlich nicht auf. The Stanley Parable ist eine Erfahrungsreise, in der es nicht darum geht, den*die Spielende wie in einem klassischen Videospiel zu unterhalten. Interaktive Elemente beschränken sich auf das Fortbewegen der Spielfigur und zahllose Entscheidungen, die es zu treffen gilt. Immer wieder führt der Erzähler dem*der Spielenden in diesen Szenen vor, dass er*sie von anderer Stelle manipuliert wird. Dass seine*ihre Wahlmöglichkeiten bei weitem nicht die Bedeutungsschwere beinhalten, die man zunächst in ihnen vermuten möchte.

Kein Spiel für die breite Masse

Sicherlich beschäftigt sich nicht jeder Jugendliche mit Themen wie Fremdbestimmung oder blindem Gehorsam. Ab welchem Alter das Spiel also für ein jugendliches Publikum an Relevanz gewinnt, hängt wohl am ehesten mit der individuellen Reife zusammen. Schüler*innen, die den Philosophieunterricht als langweilig empfinden, werden mit Sicherheit keinerlei Freude an diesem ungewöhnlichen Konzept haben. Ein befriedigendes Spielerlebnis wird grundsätzlich nur demjenigen geboten, der bereit ist, sich intellektuell auf dieses Experiment einzulassen.

Fazit

The Stanley Parable ist eine neuartige Form von Erfahrung, die sich nur schwer in Worte fassen lässt. Das Alter des Spielenden ist dabei von weitaus geringerer Bedeutung als sein persönlicher Entwicklungsstand. Gute Englischkenntnisse werden nicht zwingend vorausgesetzt, sind aber ohne Zweifel empfehlenswert. Auch wenn das Projekt über deutsche Untertitel verfügt, geht beim Lesen der Bildschirmtexte sehr viel an interaktiver Dynamik verloren. Ob und inwiefern sich die aufgeworfenen Fragen in der Folge beantworten lassen, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass bislang kaum ein Videospiel ein ähnliches Potenzial für einen geistigen Diskurs mit sich brachte. Wer sich auf eben diesen einlässt, wird mit einem Meilenstein interaktiver Erzählkunst belohnt. Grundsätzlich gilt aber: Wer Spiele ausnahmslos als Unterhaltungsmedium begreift, sollte einen weiten Bogen um den Titel machen.