Der CO2-Fußabdruck der Games-Branche ist enorm. Vor dem Hintergrund eines steigenden Klimabewusstseins weltweit versucht die Industrie, grüner zu werden. Wie kann das gelingen?
von Nora Beyer
Wer 2019 auf der gamescom am Stand des Spieleentwicklers Bethesda vorbeikam, der konnte eben mal schnell im Vorbeigehen die Welt retten. Bethesda bewarb den Endzeit-Shooter »DOOM Eternal« nämlich mit einer besonderen Aktion: Für jede*n Spieler*in am »DOOM«-Messestand wurden – in augenzwinkernder Anlehnung an die diabolischen Heerscharen, gegen die die Spielenden in »DOOM« antreten müssen – 0,666 Quadratmeter Waldfläche gepflanzt. Umweltbewusstsein statt Merchandising. Oder: Umweltbewusstsein als Merchandising? Bethesda ist kein Einzelfall. US-Entwickler Niantic, die Macher von Pokémon GO, nutzt sein Augmented Reality-Spiel ebenfalls, um Baumpflanz-Initiativen zu unterstützen.

Entwickler Bethesda lockte 2019 Besucher*innen mit einer Baumpflanzaktion an seinen Messestand des Endzeitshooters »DOOM Eternal«. (Quelle: Bethesda)
Special Edition: Ein bißchen Welt retten
Und die Wiesbadener Spieleschmiede Gentlymad Studios haben zu ihrem 2021 erschienen Aufbaustrategiespiel »Endzone – A World Apart« eine spezielle »Save The World«-Edition herausgebracht, die damit wirbt, für jede verkaufte Kopie gemeinsam mit der gemeinnützigen Organisation »One Tree Planted« einen Baum zu pflanzen. Die Entwickler*innen wollten nicht nur ein Spiel mit Klima-Kontext machen, sondern einen Impact über das Spiel hinaus setzen. Erklärt Matthias Guntrum, einer der Gründer und Studioleiter: »Uns war es wichtig, einen Schritt weiterzugehen, weil das Thema einfach eine immense gesellschaftliche Tragweite hat und es sich nicht richtig angefühlt hat, ’nur‘ ein Spiel zu entwickeln und es dabei zu belassen.« so Guntrum. Insgesamt wurden durch die Aktion bereits über 60.000 Bäume auf der ganzen Welt gepflanzt. Baumpflanzaktionen sind beliebt in der Games-Branche. Aber es gibt noch andere Ansätze, grüne Themen ins Bewusstsein zu bringen. Publisher-Platzhirsch Ubisoft etwa organisiert in-game Klimamärsche im Mehrspieler-Extremsportspiel »Riders Republic«. Und viele Spiele, von Indie-Games wie »Endling – Extinction is Forever« oder »Terra Nil« bis hin zu AAA-Titeln wie »Horizon: Zero Dawn« oder »Death Stranding«, widmen sich mittlerweile explizit Umwelt-Themen.

Die Wiesbadener Spieleschmiede Gentlymad Studios brachte zu ihrem 2021 erschienenen Aufbau-Strategiespiel »Endzone – A World Apart« eine Special Edition heraus, mit der Konsument*innen Bäume pflanzen können. (Quelle: Gentlymad Studios)
Zielgruppe mit Umweltbewusstsein
Warum eigentlich? Einerseits ist das Thema Klimawandel und Klimaschutz eines, das der globalen Zielgruppe der Spieler*innen nahe liegt. Rund 3 Milliarden Menschen spielen weltweit. Davon sind rund die Hälfte Frauen. Mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren (Frauen: 34 Jahren) besteht die Gruppe der Spielendenden weltweit vor allem aus den Generationen Y, den sogenannten »Millenials«, und Z. Beiden ist ein erhöhtes Bewusstsein für und Interesse an Umweltthemen gemein. Eine Umfrage der UN-Initiative »Playing for the Planet« beweist: Ein Großteil der Spielenden ist überzeugt davon, dass Videospiele helfen können, für Umweltthemen zu sensibilisieren. Zwei Drittel der Befragten geben an, dass sie auch bereit wären, sich etwa über Spenden selbst aktiv zu engagieren, wenn Spiele es schaffen, Umweltthemen so zu integrieren, dass es dem in-game-Erlebnis zugutekomme oder eine gute Sache unterstützt würde. Klimawandel und allgemein Umwelt-Themen sind also kein Abtörner für die Gaming-Community. Das ist ein guter Anfang für Veränderung.

Dem 2019 von den Vereinten Nationen gegründeten und geförderten Umweltprogramm »Playing for the Planet« haben sich mittlerweile mehr als 40 Unternehmen angeschlossen. (Quelle: Playing for the Planet)
Energiefresser Games-Branche
Und die ist notwendig. Denn: »Videospiele haben einen wesentlichen und bislang zu wenig beachteten Einfluss auf die globalen Emissionen« meint Evan Mills. Der forscht zum Thema am Berkeley Lab, einer Forschungskooperation der University of California, Berkeley und des United States Department of Energy. In der umfassenden Studie »Toward Greener Gaming: Estimating National Energy Use and Energy Efficiency Potential« arbeitet er schon 2019 gemeinsam mit anderen Wissenschaftler*innen heraus, wie drastisch der Einfluss von Videospielen auf die Umwelt ist. »Allein in den USA sind Videospiele für jährlich rund fünf Milliarden Dollar an Energiekosten verantwortlich. Das macht etwa 2,4 Prozent des Stromverbrauchs in den Privathaushalten aus.« so Mills. »Umgerechnet entspricht das etwa den Kohlendioxid-Emissionen von 85 Millionen Kühlschränken oder fünf Millionen Autos.« In Deutschland sieht die Situation nicht viel besser aus. Hier spielen 54 Prozent der Menschen Videospiele. Das verursacht immense Energiekosten. Allein die deutschen PS4-Spieler*innen stoßen rund 121 Tonnen CO2 im Jahr aus. Damit könnte man 161-mal von Düsseldorf nach Mallorca und zurück fliegen. Der Grund: Seit den Anfängen der Spieleindustrie mit Pong und Co. ist die Rechenleistung der Geräte um ein Vielfaches gestiegen. Die Grafik in Spielen wirkt mittlerweile fast lebensecht – das geht auf Kosten des Energieverbrauchs. Und auch die Anzahl der Spielenden steigt weltweit. Ein Drittel der Weltbevölkerung spielt. Trotz dieser Tatsache gibt es bislang laut Mills zu wenig Forschung zum Problem. Und auch in Politik und Öffentlichkeit werde das Thema stiefmütterlich behandelt. Global gesehen, so die Studie, sei das ein sträflich ignoriertes Pulverfass. Zwar ist die Studie mittlerweile ein paar Jahre alt und lässt aktuelle Generationen von Spielekonsolen also außen vor sowie die sich insgesamt ändernde Stromsituation auch in Deutschland – dennoch: Es müsse noch viel getan werden, um Gaming insgesamt grüner zu machen.
Was können Spielende tun?
Dabei gäbe es durchaus wirkungsvolle Stellschrauben. Am wichtigsten, so Mills, sei das Verhalten der Spielenden selbst: »Das Spielverhalten macht einen maßgeblichen Unterschied: Auf welchen Geräten und wie viel wird gespielt?« Außerdem sollte man möglichst nicht in der Cloud spielen und streamen, sondern lokal. Denn: Rechenzentren sind echte Energiefresser. Sinnvoll wäre laut Mills ganz grundlegend auch ein Richtsystem für Spiele, das Konsument*innen etwa per Ampel-Label den Energieverbrauch des jeweiligen Spiels anzeige und diesen dadurch informierte Kaufentscheidungen ermögliche. Die Forschergruppe rund um Evan Mills hat hier schon einiges an Vorarbeit geleistet: Auf der eigens eingerichteten Webseite greeningthebeast.org können sich Spielende umfassend informieren. Auch auf Software- und Hardware-Ebene gibt es laut Mills enormes Verbesserungspotential: »In manchen Spielen, die wir gemessen haben, wurde im Standby-Mode genauso viel Energie gebraucht wie im aktiven Spiel selbst. Eine solche Energieverschwendung ließe sich etwa durch durchdachtere System-Integrationen vermeiden.«
Was kann die Games-Branche tun?
Durch einen durchdachteren Konsum, der sich auch selbst Grenzen setzt, haben die Konsumierenden selbst erheblichen Einfluss auf den CO2-Fußabdruck, den sie per Gaming selbst hinterlassen. Aber die Verantwortung allein bei den Spieler*innen zu suchen, greift zu kurz. Die Industrie selbst muss grüner werden. Und zeigt da auch bereits erste Ansätze. Etwa mit der bereits erwähnten Initiative »Playing for the Planet«. Dem 2019 von den Vereinten Nationen gegründeten und geförderten Umweltprogramm haben sich mittlerweile mehr als 40 Unternehmen angeschlossen, darunter einflussreiche Player wie Microsoft, Playstation oder Ubisoft. Zusammen hat der Zusammenschluss eine Spieler*innenbasis von über einer Milliarde Menschen. Die potentiell für Umweltthemen sensibilisiert werden kann. Auf dem jährlichen »Green Game Jam« nehmen die beteiligten Spielestudios gezielt grüne Themen in den Fokus. 2021 wurden im Zuge des Green Game Jam etwa 266.000 Bäume gepflanzt, 800.000 US-Dollar gesammelt und insgesamt informierten sich rund 130 Millionen Spieler*innen weltweit über die dort thematisierten ökologischen Initiativen wie die »UN Decade on Ecosystem Restoration«. Zugleich verpflichten sich die Mitglieder von »Playing for the Planet« zu umweltschonenden Strukturmaßnahmen. Allerdings: Die Selbstverpflichtung ist freiwillig. Immerhin: 60 Prozent der Unternehmen gibt an, bis 2030 Net Zero/CO2-negativ sein zu wollen.
»Besonders wichtig«: Die Situation in Deutschland
Auch in Deutschland ist man sich der Bedeutung des Themas bewusst: »Für uns als Games-Branche ist der Klimawandel ein besonders wichtiges Thema« meint Felix Falk, Geschäftsführer des game-Verbandes. »Die Branche arbeitet auf vielen verschiedenen Wegen daran, ihren Beitrag zu mehr Umwelt- und Klimaschutz zu leisten: ob durch die Entwicklung von Spielen, die sich mit dem Thema beschäftigen, oder durch das Engagement und Nachhaltigkeitsinitiativen der Games-Unternehmen.« Spiele und Studios mit umwelt- und sozialverantwortlicher Dimension stehen hoch im Kurs. Nur ein Beispiel: Das Aufbauspiel »Imagine Earth« des Braunschweiger Studios Serious Brothers etwa stellt nachhaltiges Ressourcenmanagement in den spielmechanischen Fokus – und wird 2022 mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet. Seit 2021 ist der deutsche Branchenverband game selbst Teil der »Playing for the Planet«-Allianz. Und geht nach innen mit gutem Beispiel voran. Laut Felix Falk werde nicht nur in der Geschäftsstelle in Berlin seit 2021 klimaneutral gearbeitet, sondern auch bei den Töchtern devcom, der esports player foundation, der Siftung Digitale Spielekultur und der USK. Der Bundesverband gibt außerdem einen Umwelt-Guide für Spieleunternehmen heraus. Und: Mit der Nachhaltigkeitsinitiative »gamescom goes green« entwickle man außerdem internationale Strahlkraft. Über Kompensationsprojekte habe man es erreicht, die Messe zum klimafreundlichsten Event dieser Größe zu machen – das Kernevent mit den von der Koelnmesse und dem game-Bundesverband verantworteten Bereichen ist sogar komplett klimaneutral.

Die Nachhaltigkeitsinitiative »gamescom goes green« mache laut Veranstalter die weltgrößte Spielemesse zum Vorreiter für Nachhaltigkeit. (Quelle: gamescom)
Ein Blick in die (grünere?) Zukunft
Insgesamt tut sich also einiges im Wendekreis von Green Gaming. Nur: Reicht das? Nach Ansicht von Forscher*innen wie Evan Mills fehlt es derzeit noch immer an einer tieferen Auseinandersetzung mit den (CO2)-Spuren, die die Branche selbst hinterlässt. Und dann eine ehrliche Gegenrechnung. Wenn Spielestudios Bäume pflanzen lassen und zugleich Rekord-Emissionen verzeichnen, bleibt das sonst eine Milchmädchenrechnung. So passiert im Fall von Sony. Der Mega-Konzern bemühte sich zuletzt um Hardware-Änderungen, die den Verbrauch der hauseigenen Konsolen reduzieren. So richtig wirksam wird das bislang aber nicht. Und wirkt teilweise auch etwas fragwürdig. Ein Beispiel: Sony fügte als medienwirksamen Teil des »Green Game Jam« 2022 dem Blockbuster »Horizon Forbidden West« eine Spiel-Trophäe an, die Spielende mit einer Baumpflanz-Aktion lockt. Zugleich sind die Emissionen durch Sony-Spielekonsolen und deren Lebenszyklen von der Herstellung zur Entsorgung sowie den Unternehmensstrukturen selbst im Jahr 2020 so hoch gewesen wie seit Jahren nicht mehr. Bäume zu pflanzen wirkt da im Vergleich eher unzureichend. Die Spieleindustrie wird sich wahrscheinlich noch eine ganze Weile (hinter)fragen müssen, wo die Grenze zwischen Greenwashing und Green Gaming verläuft.

Greenwashing statt Green Gaming: Sony verspricht Spieler*innen des Blockbusters Horizon Forbidden West« eine in-game-Trophäe, mit der Bäume gepflanzt werden, verursacht selbst aber extrem hohe Emissionen, die durch die Baumpflanz-Aktion kaum kompensiert werden. (Quelle: Sony)