ESport – Untiefen und Umbrüche

22.09.2023 | Diversität, Jugendkultur

Millionen Zuschauer, Milliarden Umsatz. ESport ist längst ein Markt der Superlative – mit vielen Herausforderungen – und einigen Chancen. Ein Blick in eine Szene zwischen Toxizität und Teamwork.

»Schick das Drecksweib zurück in die Küche.«. »Wenn’s zu langweilig wird, gehen wir einfach aufs Hotelzimmer«. »Was macht das Weib da?«. Das sind nur einige der Chat-Beispiele im eSport, die Laura Beckmann 2020 in einem Twitter-Thread gesammelt hat. Sie zeigen eindrücklich, dass Toxizität und Sexismus zum eSport-Alltag dazugehören. Beckmann, die lange Jahre selbst im eSport aktiv war und zum damaligen Zeitpunkt seit fast zehn Jahren eSport Viewing Partys, Turniere, Streams und Mannschaften organisiert hat und 2017 die Hochschulgruppe für Gaming an der Technischen Universität München gründete – heute Teil von Munich eSports – will mit dem Twitter Thread auf Missstände aufmerksam machen, die ein offenes Geheimnis sind.

Denn: Im eSport sieht es nicht viel anders aus als in anderen Sportbereichen. Für die hat eine SWR-Umfrage unter Spitzensportlerinnen in Deutschland ergeben, dass jede dritte Sportlerin angibt, sie erlebe Sexismus in ihrem Sport. Auch im eSport ist Sexismus ein Problem. Und das wird oft größer, je höher man geht. Meint Beckmann: »Wenn man auf lokaler oder regionaler Ebene bleibt, ist das Umfeld eher familiär und Frauen haben nicht so viele Probleme, weil das Spielen meist auf Freundesgruppen beschränkt bleibt, wo man sich ja kennt.« Das ändere sich, wenn man auf Bundesebene oder auf globale Ebene wechsle. »Da gibt es öfter Anfeindungen«. Die Anonymität in den Online-Spielen verschärfe die Situation. »Gerade in Spielen, in denen man anonym unterwegs ist, wird viel beleidigt«, so Beckmann.

Draufblick auf die Bühne umgeben von Zuschauerrängen in einer großen Halle, in der gerade ein eSport-Event stattfindet. Oberhalb der Bühne auf einer großen Leinwand ist der Moderator des Wettkampfes zu sehen. Das Innere der Halle ist durch rote und weiße Lichteffekte atmosphärisch inszeniert.

eSport ist ein Milliardengeschäft und lockt ein Millionenpublikum vor die Bildschirme dieser Welt und in die großen Arenen. Hier die League of Legends 2015 World Championship Finals in der Mercedes-Benz Arena in Berlin. (Quelle: Riot Games via game)

Toxizität als Kultur

Auch, weil Toxizität in manchen Kreisen zum guten Ton dazugehört und teilweise als Teil der eigenen Spielekultur begriffen wird. Schon 2012 bringt das Tekken-Spieler und -Kommentator Aris Bakhtanians auf den Punkt. Der forderte während eines Turniers der Serie Cross Assault die weibliche Kollegin Miranda ‚Super Yan‘ Pakozdi auf, ihr Shirt auszuziehen, filmt ihre Brüste und lässt sich über ihr Aussehen aus. Alles live. Die Reaktion des Sponsoring-Unternehmens bleibt aus. Pakozdi zieht sich schließlich aus dem Wettbewerb zurück. Barkhtanians äußert sich später in einem Interview: »Sexuelle Belästigung ist Teil unserer [Kampfspiel] Kultur.« Die sexistische Tradition im eSport lasse sich, so Beckmann, nur innerhalb der größeren Logik allgemeiner Toxizität begreifen: »Ich bin der Meinung, dass das Sexismus-Problem im Gaming-Bereich Teil eines allgemeinen Toxizitäts-Problem ist. Jeder wird beleidigt, Frauen trifft es aber gezielt in die Sexismus-Schiene.« Relativieren will sie das Problem damit aber nicht. Im Gegenteil. Das weise darauf hin, dass das Problem umfassend und tiefgehend ist. »Es geht darum, zu beleidigen und abzuwerten.«

Sexismus ist dabei nur eine Spielart toxischen Verhaltens im eSport. Rassismus und Homophobie sind weitere. Beckmann meint: »Es gibt Spieler in der Szene, das sind dann meistens auch die, die gegen Frauen schießen, die überzeugt davon sind, dass man Toxizität brauche, weil das ein kompetitives Mindset sei.« Toxisches Verhalten im eSport wird so zum probaten Mittel eines leistungsorientieren Mindsets, das sich selbst durch die Ab- und Entwertung anderer konstituiert. Beckmann nennt Beispiele: »Sprüche wie ‚Mein Onkel vergast dich in seiner Kammer, du Drecksn***r‘. Beliebt ist auch sowas wie ‚Du bist behindert, ein minderwertiges Wesen‘ oder gleich ‚Bring dich um.’«

Toxische Wurzeln

Beleidigungen als digitale Form, die Muskeln spielen zu lassen. Wut als Gewinner-Emotion. Die Logik ist wirkmächtig und breitenwirksam. Das hat auch der Tweet von Ninja, einem der populärsten Streamer und eSportler, deutlich gemacht. Der verkündet 2020, dass Menschen, die über ihr Verlieren in Spielen nicht wütend würden, ein »weak mindset«, also ein schwaches Mindset, hätten. Diese Gewinner- und Loser-Rhetorik prägt den eSport. Sexismus und Toxizität sind Teil der Szene. Und das seit den Anfängen. Erschwerend kommt hinzu, dass eSport innerhalb der Gameskultur stattfindet, die seit seinen Anfängen mit einer ausgeprägten Sexismus-Problematik zu kämpfen hat. Die Geschlechter-Ungleichheit in der Videospielindustrie lässt sich auf deren Ursprünge in der IT-Industrie der 1950er und 1960er Jahre zurückverfolgen. Und hält vielerorts bis heute an.

Tweet des Users

Toxizität und ein kompetitives Mindset sind längst nicht immer trennscharf: Tweet von Streamer und eSportler Ninja. (Eigener Screenshot Twitter)

Wie tief der Sexismus in der Spieleindustrie reicht, wird seit Vorfällen wie Gamergate 2013 immer wieder deutlich. Spätestens in den letzten Jahren ist offensichtlich geworden, wie umfassend das Problem ist. Klagen gegen weltweit führende Spieleunternehmen wie Riot Games, Ubisoft oder Activision Blizzard erschüttern die Gamesbranche. Und machen klar: Toxizität, Sexismus, Rassismus und mangelnde Diversität sind kein eSport-spezifisches Problem. Sondern eines, das die gesamte Branche betrifft.

Aktuelle Entwicklungen in Zahlen

Und das, obwohl die Spieler*innen selbst immer weiblicher und auch diverser werden. Auch in Deutschland herrscht mittlerweile beinahe Parität zwischen den Geschlechtern. Laut dem Branchenverband game stehen 48 Prozent weibliche Spielerinnen einem Anteil von 52 Prozent männlichen Spielern gegenüber. Fast jede*r fünfte deutsche Spieler*in tritt in Wettbewerben an. Der Anteil an diversen Spieler*innen wurde hier nicht berücksichtig, dürfte aber ebenfalls steigen. Eine aktuelle Statistik für die USA ergab zuletzt, dass 16 Prozent der Spieler*innen Teil der LGBTQIA+-Community sind. Auch in der Branche selbst ändert sich etwas. Der Anteil der weiblichen Beschäftigten in der Gamesindustrie ist von noch mauen neun Prozent im Jahr 2009 auf mittlerweile weltweit 30 Prozent – in Deutschland: 25 Prozent – gestiegen. Der Anteil der nicht-binären Beschäftigten hat sich seit 2014 immerhin verdoppelt – auf acht Prozent. Nur: Diese Zahlen zeigen nicht, wie die Verteilung innerhalb der Branche aussieht. Denn: In führenden und leitenden Positionen, in Ingenieurs- und Management-Posten und als Gründer*innen von Studios sind Frauen und nicht-binäre Menschen weiterhin eine Seltenheit. Noch kritischer sieht es im eSport aus: Gerade mal fünf Prozent der professionellen Spieler*innen sind hier Frauen. Nicht-binäre Menschen tauchen in den meisten Statistiken erst gar nicht auf. Weibliche eSportlerinnen verdienen lediglich 0.05% des Gehalts ihrer männlichen Kollegen.

Fast jede*r fünfte Deutsche nimmt an eSports-Events teil. (Quelle: game)

Licht am Ende des Tunnels?

Aber: Es tut sich etwas. Über Missstände wird zunehmend gesprochen, toxisches Verhalten wird öffentlich gemacht – wie es etwa Laura Beckmann und viele andere tun – und angeprangert. Und: Es gibt auch Beispiele, die Hoffnung machen. »Ein gutes Beispiel ist für mich etwa die Uni-Liga. Die setzen sich sehr dafür ein, dass nichts passiert in teilnehmenden Teams und haben den besten Liga-Betrieb, den ich bislang erlebt habe.« berichtet Beckmann. Es gibt auch mittlerweile verschiedene eSport-Förderungen und Initiativen, etwa das SK Gaming Project Avarosa speziell für Frauen, NUEL’s Women and Non-Binary University Tournaments, Women in Games oder die eSports Player Foundation. Mit dem Equal eSports Cup startet 2023 außerdem die erste europäische Turnier-Serie im Spiel League of Legends für Frauen und nicht-binäre Spieler*innen im DACH-Raum. Talentförderung ist ein zentraler Schlüssel zur Veränderung. Mit Strahlkraft. Denn: Es braucht Vorbilder und Positivbeispiele, die zeigen, dass es auch anders geht.

Eine Reihe weiblicher Spielerinnen mit Headsets, die vor Gaming-Rechnern sitzen und konzentriert in das Spiel vertieft sind.

Speziell für Frauen und nicht-binäre Spieler*innen: Die Veranstaltung Equal eSports Festival 2022. (Quelle: DeutscheTelekom_UlfPreising)

eSport muss ernst genommen werden

eSports hat gegenüber herkömmlichen, auf Kraft ausgerichteten, Sportarten, Vorteile. Ein zentrales Alleinstellungsmerkmal mit viel Potential: eSport ruft Fähigkeiten ab, die gänzlich unabhängig von biologischen Geschlechtern sind: Reaktionsgeschwindigkeiten, Feinmotorik, Augen-Hand-Koordination und taktisches Verständnis. Dieses Potential wird noch zu wenig anerkannt und ernst genommen. Wie gering(schätzig) das Verständnis gegenüber dem eSport als Sportart ist, hat zuletzt die Diskussion um das Olympische Komitee gezeigt. Videospiele sind zwar jetzt im Zuge der sogenannten Olympic Esports Series 2023, die in der Olympic Esports Week vom 22-25. Juni 2023 in Singapur ausgetragen wird, ganz offiziell Teil der Olympischen Spiele. Nur: Keine Spur von etablierten Titeln der globalen eSport-Szene wie League of Legends, Valorant und Counter Strike: Global Offensive. Stattdessen stehen Sportsimulationen wie Tic Tac Bow – Bogenschießen – oder Virtual Regatta – Segeln – auf der offiziellen Liste des Komitees. Das sorgte zuletzt für viel Häme und Kritik. Auch Laura Beckmann sieht das kritisch: »Da ist nur ein Titel enthalten – Just Dance – von dem ich eine eSport-Szene überhaupt kenne. Der Rest sind vorwiegend unbekannte Sportsimulationen.« Ihr deutliches Fazit: »Da wurde jemand entweder so grottenschlecht beraten, dass ich klagen würde. Oder das war eine offensichtliche Absage an die eSport-Szene.«

Auch wenn die Anerkennung im etablierten Sport bislang auf sich warten lässt: eSport ist so einflussreich wie lukrativ. Bis 2025 wird erwartet, dass über 600 Millionen Menschen weltweit eSport-Events verfolgen. Und: Allein zwischen den Jahren 2020-2025 wird sich der Umsatz im eSport laut Prognose verdoppeln – auf umgerechnet knapp zwei Milliarden Euro. Wer Zugang zu diesem Markt hat, hat Vorteile. Wer nicht, hat das Nachsehen. Deshalb ist es ganz zentral, die Hegemonialstellung bestimmter Geschlechter und Umgangsformen im eSport in Frage zu stellen, aufzubrechen und den Sport wirklich für alle zu öffnen.

Ein eSport-Team feiert seinen Turnier-Sieg. Der Spieler in der Mitte hält einen großen Pokal hoch während die anderen mit erhobenen Armen jubeln.

Bei Turnieren winken hohe Preisgelder und werden mit viel Aufwand inszeniert – hier die Intel Extreme Masters im polnischen Katowice. (Quelle: ESL / Helena Kristiansson via Gameswirtschaft)