5 Sprachlernspiele von retro bis prüfungstauglich

04.12.2020 | Allgemeines, Gamespädagogik

Beim Spielen Sprachen zu lernen wird immer attraktiver und effektiver. Linguist Pascal Wagner stellt fünf besondere Sprachlernspiele vor, die es zu kennen lohnt.

Lust auf ein Sprachrätsel? Diese kleine Aufgabe wird gerne in Einführungskursen der Linguistik gestellt:

Das hier ist ein Wug.

 

 

Hier ist noch ein Wug.

 

 

Jetzt sind es zwei…?

 

 

Ja was sind es denn? Wugs? Wugi? Wugge? Wie bildet man eigentlich einen ordentlichen Plural im Deutschen? Gibt es da Regeln, wenn man ein Wort nicht schon kennt und sich nicht auf das eigene Sprachgefühl verlassen kann? Uff…

So ungefähr fühlen sich jeden Tag Millionen Menschen, die Deutsch oder irgendeine andere Fremdsprache lernen wollen. Der Wug-Test wurde ursprünglich im Englischen von der Psycholinguistin Jean Berko Gleason erfunden. Er soll eigentlich zeigen, dass bereits kleine Kinder ein gutes Bauchgefühl für ihre eigene Muttersprache haben und den Plural selbst bei unbekannten Wörtern richtig bilden. Bei Fremdsprachen sieht das jedoch anders aus. Da heißt es Regeln lernen, Ausnahmen pauken, Kurse besuchen und Tandempartner finden. Und damit das weniger anstrengend ist und Spaß macht, haben manche Firmen und Organisationen einen noch recht neuen Markt für sich erschlossen: die Sprachlernspiele.

Mal gehen sie mehr Richtung Lern-App, mal sind sie serious games, aber immer haben Sprachlernspiele einen Mindestanspruch an das, was sie lehren sollen: Das können ein paar Wörter einer fremden Sprache oder vielleicht ein solides Alltagsvokabular sein, aber auch eine Einführung in die Grammatik. Das ein oder andere Sprachlernspiel prüft Wissen ab, das man für eine ganz bestimmte Sprachenprüfung kennen muss. Und manche sind einfach nur so seltsam, dass sie ihre Lernprämisse durch ihre Eigenheit erreichen, weil sich bestimmte Worte oder Bilder ins Gedächtnis brennen.

Seit einigen Monaten bin ich Teil des Goethe-Instituts, einer Organisation, die Sprachprüfungen entwickelt, und habe mich daher mit Sprachlernspielen befasst. Ich bin durch Online-Shops und Spieledatenbanken gewatet, habe von der Europäischen Union geförderte Kursabschlusstest-Point’n’Clicks gespielt und japanische Kanji mit Schwertern verprügelt. Und nun kann ich sie Euch präsentieren: die Top 5 der bemerkenswertesten Sprachlernspiele, von originell über humanitär bis hochprofessionell.

Die »Rayman Learning Games« profitieren enorm davon, dass »Rayman« ein so gutes Plattformer-Spiel ist. Jede Bewegung, und damit jeder Griff nach der richtigen Vokabel, macht hier Freude.

Rayman Learning Games

Trotz des recht neuen Marktes stammt eines meiner liebsten Beispiele bereits aus dem Jahr 1996. Die »Rayman Learning Games«, »Englisch mit Rayman« respektive »Französisch mit Rayman«, je in einer Anfänger- und einer Fortgeschrittenen-Variante verfügbar, sind vom französischen Entwickler Ubi Soft (heute nur leicht orthographisch angepasst als großer Spielepublisher Ubisoft bekannt) entwickelte Spiele zum Vokabeln lernen. Spielerisch kommen sie unscheinbar daher, denn sie basieren auf dem ersten »Rayman«-Spiel. An Gabelungen in den Levels muss das richtige Wort zur passenden Aufgabe ausgewählt werden, nur so erreicht Rayman das nächste, schwierige Gebiet. Auch Satzverständnis wird geübt. So fragt eine Figur Rayman: »How many tires does a car have?«. Der Sprung auf die richtige Ziffer lässt einen Haufen sammelbarer Währung erscheinen. Die größte Stärke der »Rayman Learning Games« ist ihr Rückgriff auf die bewährte Infrastruktur und Spielmechanik des ersten »Rayman«-Spiels von Michel Ancel. Denn der weiterhin als »Rayman Forever« erhältliche Platformer spielt sich heute noch so gut wie vor einem Vierteljahrhundert.
Eine neue Sprache lernt man mit den »Rayman Learning Games« wohl kaum. Dafür sind die Sätze zu kontextlos, die Vokabeln zu sehr verstreut, und ein gefülltes Lexikon macht ohnehin noch keine Sprachkenntnisse aus. Aber um einen frisch erlernten oder bereits vorhandenen Wortschatz zu wiederholen und zu festigen, gerade in der Version für Lernanfänger, bietet »Rayman« auch heute noch eine spaßige Ergänzung zu Karteikarten und Vokabellisten.

Rayman Learning Games / Rayman Brain Games / Rayman Junior (unterschiedliche Versionsnamen)
Derzeit nicht erhältlich / Abandonware
MS-DOS, PlayStation 1

Der »Language Magician« funktioniert im Kern wie ein klassischer Sprachtest, indem er Aufgaben einblendet. Das darunterliegende Point’n’Click und die schöne, simple Grafik sorgen jedoch für zusätzliche Motivation.

Language Magician

Der »Language Magician« sticht schon aus einem Grund aus der Menge der hier vorgestellten Spiele heraus: Er ist nicht frei erhältlich. Das aus Mitteln des Erasmus+-Projekts der Europäischen Union geförderte und vom Goethe-Institut in London in Zusammenarbeit mit der Firma Ovos entwickelte Spiel wird stattdessen in Schulen für den Unterricht eingesetzt. Der »Language Magician« ist ein mit Sprachaufgaben gespicktes Point’n’Click-Adventure für Browser und Tablets. Als namensgebender Language Magician soll ein Schulkind die Tiere befreien, die der böse Hexer Winnevil in Türklopfer verwandelt hat. Dafür müssen Kleidungsstücke gefunden und eingefärbt, Zaubersprüche mit dem Finger nachgezeichnet und klassische Testaufgaben gelöst werden. Idealerweise wird das Lernspiel zweimal pro Schuljahr eingesetzt: einmal zu Beginn und am Ende. So wird der Fortschritt der Kinder in der jeweiligen Sprache – zur Auswahl stehen Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch – getestet. Der Lernerfolg wird vom Lehrpersonal gespeichert und kann für individuelles Feedback genutzt werden. Als EU-gefördertes Lehrmittel kann der »Language Magician« von Schulen kostenlos angefragt und genutzt werden. Ohne pädagogischen Grund gibt es allerdings keinen Zugriff auf das Spiel, vermutlich, um die Testaufgaben nicht zu öffentlich zu machen. Schade, aber trotzdem ziemlich cool.

Language Magician
Kostenlos (Registrierung als Lehrkraft nötig)
Browser, iPad, Android Tablet
www.thelanguagemagician.net

Wer jemals ein JRPG gespielt hat, wird sich in »Japanese to Survive!« (hier »Kanji Combat«) sofort zurechtfinden.

Learn Japanese to Survive!

Die in der zugänglichen »RPG Maker«-Engine mit dem unverkennbaren 16bit-Pixel-Stil gebaute »Learn Japanese to Survive!«-Reihe bedient sich etablierter Strukturen von JRPGs, um Spielenden mit möglichst viel Spaß das japanische Schriftsystem beizubringen. Wie in klassischen rundenbasierten RPGs der Vergangenheit, etwa »Final Fantasy V« oder »Suikoden«, steht ein Heldenteam Gruppen aus Gegnern gegenüber. In diesem Fall sind diese Gegner allerdings keine hauerbewehrten Goblins oder böse Ritter, sondern Schriftzeichen. Sie können nur mit der jeweils richtigen Übersetzung ›angegriffen‹ und gelöst werden. In drei Spielen werden die drei Schriften des Japanischen einzeln behandelt, sodass über den Spielverlauf genug Zeit bleibt, das jeweilige System zu internalisieren: Hiragana, die runde Schrift, mit der hauptsächlich japanische Silben geschrieben werden, in »Hiragana Battle«. Katakana, die eckige Schrift, mit der vor allem Anglizismen und andere Fremdwörter markiert sind, in »Katakana War«. Und Kanji, die chinesische Symbolschrift, die für Muttersprachler indoeuropäischer Sprachen mit lateinischem Schriftsystem besonders schwierig zu lernen ist, in »Kanji Combat«. Eingebettet sind die Lernkämpfe jeweils in ebenso typische Strukturen von japanischen Rollenspielen: Begehbare Oberwelten, Basenbau und Ausrüstungssammeln lassen beinahe vergessen, dass man eine Sprache lernt und nicht ›nur‹ spielt.

Learn Japanese to Survive!
Hiragana Battle, Katakana War & Kanji Combat
5,99€–7,99€
Windows, Mac
Steam

Der Reiz des Fremden und die touristische Neugier, eine unbekannte Stadt kennenzulernen, machen »Lingotopia« zu einem guten Spiel. Dass man dabei auch noch einige neue Wörter lernt, ist ein toller Nebeneffekt.

Lingotopia

Point’n’Click-Spiele mit simpler Grafik wie der »Language Magician« oder RPG Maker-Games wie die »Learn Japanese to Survive!«-Reihe müssen sich wohl des Öfteren gegen das Vorurteil behaupten, Lernspiele, um nicht zu sagen serious games im Allgemeinen, sähen billig aus. Dabei müssen sie nicht einmal zweidimensional sein. Das 2018 durch erfolgreiches Crowdfunding finanzierte Indie-Projekt »Lingotopia« wurde vom Berliner Entwickler Tristan Dahl alias Lingo Ludo entwickelt. Von oben steuern wir eine Figur, die in einer ihr fremden Stadt gestrandet ist und deren Sprache nicht kennt. Untersuchen wir Gegenstände in den Straßenzügen, können wir ihre Namen lernen. Dadurch gelingt es uns (hoffentlich) später, die Äußerungen der Stadtbewohner zu entziffern, indem wir Worte und Konzepte abgleichen, die bereits in unserem Wörterbuch gespeichert sind. »Lingotopia« hat kein Storyziel, es bedient sich vielmehr gelungen der Atmosphäre des Verlorenseins, um einen Antrieb zu schaffen. Sich eine unbekannte Umgebung nach und nach zu erschließen und das Gespräch mit den Bewohnern aufnehmen zu können, ist Belohnung genug. Neben von Haus aus integrierten Sprachen wie Arabisch, Chinesisch, Russisch, Spanisch und Japanisch ist »Lingotopia« außerdem von der Community der Spielenden frei um neue Sprachen erweiterbar – auch Kunstsprachen wie Klingonisch aus »Star Trek«.

Lingotopia
12,49€
Windows, Mac, Linux
Steam, itch.io

Bunt, lebensfroh und witzig: »Antura and the Letters’« Präsentation ist perfekt auf Kinder zugeschnitten.

Antura and the Letters

Die »Antura«-Serie von Video Games Without Borders, Wixel Studios und dem Cologne Game Lab schreibt humanitäre Hilfe groß. Zusammen mit Antura, einem bunten Hund aus Wolle, sollen vor allem jüngere Kinder hier spielerisch Hilfe beim Sprachenlernen bekommen. Interessant ist dabei vor allem »Antura and the Letters«: Das als Mobile- und PC-App kostenlos erhältliche Game ist vollständig arabisch und soll geflüchteten Kindern das arabische Schriftsystem beibringen. Diese können ihre Muttersprache zwar oft verstehen, weil sie zu Hause gesprochen wird, aber oft nicht schreiben, wenn sie vor Schuleintritt flüchten mussten und die arabische Schrift im Ankunftsland nicht gelehrt wird. Häufig bringen ihre Eltern sie ihnen nicht bei, da die arabische Schriftsprache in vielen westlichen Ländern mit einem Stigma behaftet ist. Mündliche Anweisungen, die die Kinder verstehen, werden in »Antura and the Letters« in Aufgaben zur Schriftübung umgesetzt, in denen die Kinder zum Beispiel das arabische Alphabet mit dem Finger nachzeichnen. Dafür erhalten sie kosmetische Belohnungen, mit denen sie den lustigen Antura schmücken können. »Antura and the Letters« unterrichtet Kinder in sicherer Atmosphäre, bunt und mit viel Humor, und dafür kröne ich es gerne zu meinem Lieblingstitel auf dieser Liste.

Antura and the Letters
Kostenlos
Android, iOS, Windows 10
www.antura.org

Spielend lernen für alle
Nicht alle Lernspiele richten sich an dieselbe Zielgruppe, und nicht alle sind kommerzielle Produkte. Von Organisationen entwickelte Sprachlernspiele sind oft für Spielende kostenlos, um die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe, seien es Geflüchtete oder Kinder im Unterricht optimal abdecken zu können. Andere, wie »Lingotopia«, können und dürfen von interessierten Nutzern beliebig erweitert werden, sodass sie ihrem Grundpreis mehr als gerecht werden. Heute ist noch quasi kein Sprachlernspiel als Ersatz für Sprachenunterricht oder bewährte Lernmethoden wie Vokabelkarteien und Gesprächsgruppen gedacht oder geeignet. Doch als Ergänzung zu Unterricht oder als Motivation für einen Sprachkurs können Lernspiele unglaublich wertvolle Werkzeuge sein, um Kindern und Erwachsenen den Spaß an anderen Sprachen beizubringen oder zu erhalten.

Erstveröffentlichung dieses Artikels in der GAIN.

Über den Autor:

Pascal Wagner hat einen B.A. in Anglistik und Rechtswissenschaften sowie einen M.A. in kultureller und kognitiver Linguistik. Derzeit arbeitet er am Goethe-Institut als Sprachprüfungsentwickler mit Game-Design-Fokus. Er ist Gründer des Game-Studies- und Wissenschaftskommunikations-Blogs Language at Play, Mitgründer des antifaschistischen Netzwerks Keinen Pixel den Faschisten! und Redakteur beim Printmagazin für Videospielkultur GAIN – Games Inside. Kontaktieren kann man ihm besten via Twitter oder per E-Mail (pascal@indieflock.net).