Seit 2020 wird in allen Medienbereichen viel über Mental Health gesprochen, was gut ist, denn dadurch wird Bewusstsein für ein so sensibles Thema geschaffen. Auch die Games-Branche nimmt sich dieser Entwicklung in verschiedenen Genres an und spielt dabei mit deren Facetten. Denn das ist Mental Health auch – nicht so einfach greifbar und zu reduzieren.
Mental Health (dt. Mentale Gesundheit) ist ein Zustand und umfasst dabei mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit. Wenn man mental gesund ist, dann ist man in der Lage, seine Fähigkeiten zu erkennen, mit Stresssituationen umzugehen, produktiv zu arbeiten und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Dabei schlägt Mental Health sich in vielen Lebenslagen wider und beeinflusst unsere Emotionen, unsere sozialen Kontakte, unser Empfinden von Freude und allgemein unsere Lebensqualität. Wie sich das nun mit Games vereinen lässt, soll dieser Artikel erläutern.
Das Genre der Adventures bietet durch Storylastigkeit, Eindrücke in das Innenleben der Figuren und häufig ansprechende Grafiken eine perfekte Plattform. Mit Hellblade: Senuas Sacrifice präsentierte Ninja Theory uns 2017 die Geschichte von Senua, die, verursacht durch Psychosen, Stimmen in ihrem Kopf hört. Dieselben Stimmen nehmen auch die Spieler*innen wahr, die Senua helfen, ihren Geliebten Dillion zurückzubringen. Sie quälen einen, sagen, man sei nicht gut genug, aber wenn man ihnen zuhört, erhält man auch Tipps oder Warnungen und Informationen über Senuas Vergangenheit. Dadurch ist das Spiel sehr immersiv und intensiv und versetzt die Spieler*innen in Senuas Situation. Am Ende steht die Akzeptanz, dass die Stimmen ein Teil von ihr sind. Mit dem Gefühl von Hoffnung, weil sie über sich hinaus gewachsen ist und nicht aufgehört hat zu kämpfen, entlässt Hellblade: Senuas Sacrifice die Spieler*innen.
Ein weiteres Game, welches psychische Erkrankungen thematisiert, insbesondere Depressionen, ist Sea of Solitude, ein nicht ganz so actionreiches Adventure wie Hellblade. Das Motiv der Einsamkeit wird hierbei in verschiedenen Situationen und Beziehungen behandelt. Kay, die Protagonistin, trifft auf Monster, die nach außen gekehrte Gefühle repräsentieren; von ihr selbst, aber auch von anderen. So begegnet sie beispielsweise ihrem Bruder, der Opfer von Mobbing wurde. Aber auch Themen wie Selbstzweifel, Hoffnungslosigkeit oder Depression werden konkret im Spiel angesprochen und erlebbar gemacht. Im Laufe der Handlung lernt Kay loszulassen und sich selbst zu vertrauen. Sea of Solitude ist ein autobiografisches Game und erlaubt uns als Spieler*in in diese ganz persönliche Geschichte einzutauchen.
Neben den großen, handlungsreichen Blockbuster-Titeln, die viel Zeit beanspruchen und den Spielenden auch einiges abverlangen, werden auch kleinere Spiele entwickelt, die einen auf eine kurze Reise mitnehmen. Darunter fallen Apps, wie z.B. #selfcare, bei dem die Spieler*innen die Möglichkeit haben, sich in Mini Games zu verlieren. Diese sind mit kleineren Aktionen, wie dem Einräumen eines Bücherregals oder dem Anzünden von Kerzen, eher meditativ und sorgen für Ablenkung. Bei der App Florence begleiten wir eine Liebesbeziehung durch Mini Games vom Anfang bis zum Ende, erleben dabei jeden Moment, also Höhen und auch Tiefen mit und haben eine große Identifikationsfläche. Solche Spiele zeigen, dass man mit seinen Gefühlen oder seinem Trennungsschmerz nicht allein ist. Auch der Plattformer Celeste, bei dem die Protagonistin Madeline den Mount Celeste und ihre Ängste überwindet, bietet durch seine Story Identifikationsmöglichkeiten. In dem Coming-of-Age-Adventure Life Is Strange geht es um die Themen Freundschaft und Erwachsenwerden und man kommt mit Charakteren in Berührung, die zum Beispiel Mobbing erleiden und daher Suizidgedanken haben. Ziel dieser Games ist es, Empathie zu fördern und das Gefühl zu vermitteln, dass andere vielleicht dieselben oder ähnliche Emotionen und Gedanken haben. In einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur spricht Cornelia Geppert, Schöpferin von Sea of Solitude, über Let’s Plays, die einen Austausch zwischen der Community und dem oder der Let’s Player*in oder unter der Community selbst anregen. So können Gefühle und Erlebnisse untereinander erörtert und geteilt werden. Wichtig ist es jedoch hervorzuheben, dass Games keine Lösungen bieten. Sie dienen allerdings als Ergänzung.
Das Online-Magazin Vice führte Interviews mit Personen, die selbst unter mentalen Problemen leiden und berichteten, wie Ihnen digitale Spiele geholfen haben. Zum einen sind es vor allem positive und entspannende Titel, die genannt wurden – sie sind unterschwellig und bieten die Möglichkeit für einen kurzen Moment zu entfliehen. Zum anderen sind Koop-Games besonders weit vorne. Sie helfen dabei, Freund*innen zu finden oder Personen, die einen vielleicht verstehen.
Ein Spiel, welches von den Interviewpartner*innen öfters genannt wurde, war What Remains of Edith Finch, ein Walking Simulator, bei dem man Edith begleitet, die die letzten Momente verstorbener Familienmitglieder durchlebt. So leidet ihr Bruder Lewis beispielsweise unter Depressionen und begeht Suizid. Eine Interviewpartnerin von Vice, bei der dieselbe psychische Störung diagnostiziert wurde, meint, dass ihr die Szene dabei hilft zu weinen und Druck abzulassen. Das Spiel bietet allgemein eine große Identifikationsfläche. Ein weiterer Interviewpartner, der häufig Traum und Realität vermischt, erkennt in einer der Figuren einen Vertrauten, der Ähnliches durchmacht. Aus diesem Grund spielt er diese Sequenz immer wieder durch, da er sich dabei verstanden fühlt.
Games und Mental Health kann man in dem Moment zusammenbringen, wenn es um Mood-Management geht. Durch Computerspiele kann die Stimmung beeinflusst und stimuliert werden. In einem Interview mit WNYC Studios sagt die Spieleentwicklerin Jane McGonigal, dass play das Gegenteil von Depression sei. Das liegt an den Erfolgen, die man aus Spielen mitnehmen kann. Man wird optimistischer und ist bereit sich zu verbessern, man wird energiegeladener und erhält Zugang zu positiven Emotionen wie Freude oder Aufregung. Durch den Koop-Modus in vielen Games ist es auch möglich, mit anderen zu spielen und eine gemeinsame Intention mit ihnen zu teilen. Aus diesen Gründen werden Computerspiele zur Selbstmedikation verwendet. Sie helfen in stressvollen Situationen und können einen sozusagen „betäuben“. Ob sie einen nun dabei unterstützen, sich bemächtigt zu fühlen und bessere Beziehungen zu haben oder als Ausflucht für den eigenen Zustand dienen, lässt sich ganz einfach feststellen: Wenn man in Games ein Entkommen sucht, sich als andere Person oder in einer anderen Realität sieht, ist es nicht möglich, eine Brücke zu schlagen. Es ist wichtig, sich von ihnen zu distanzieren, um Erfolge zu erzielen.
Im Gespräch mit Kindern und Jugendlichen, die vielleicht Probleme mit Selbtsregulierung oder -beobachtung haben, ist es wichtig, dass sie selbst positive Aussagen über ihr Spielverhalten treffen. Dabei geht es nicht darum zu sagen, dass das Spiel an einer bestimmten Stelle besonders spaßig oder der Endboss nicht leicht zu besiegen war, sondern zu abstrahieren und anzumerken, dass man z.B. nicht aufgab, wenn der Schwierigkeitsgrad zunahm, verschiedene Strategien ausprobiert wurden oder dass man viel Kreativität zeigte und etwas Aufregendes erschaffen konnte. Das Gelernte aus den Computerspielen hält mental nämlich an und kann dann mit der Realität verbunden werden. Dadurch soll z.B. mit anderen kollaboriert werden, man kann kreativ werden oder etwas ausprobieren, worin man sich verbessern möchte. Spiele, die sehr herausfordernd sind, können helfen, Fähigkeiten zu entwickeln und zu fördern. Das zeigt sich auch im Beispiel eSports. Dabei werden häufig Games gespielt, die strategisch herausfordern, es geht um Zeitmanagement und Teamkoordination. Man muss schnell nachdenken, schnell spielen, experimentieren und lernen mit Ressourcen umzugehen. McGonigal spricht als wichtigsten Punkt an, dass uns Games durch Koop-Modi und gemeinsames Spielen verbinden. In dem Zusammenhang äußert sie sich auch zu Shootern. Auch diese können bei mentalen Problemen hilfreich sein, insbesondere, wenn man sie gemeinsam spielt. Dadurch werden Beziehungen gestärkt, man trifft zügiger die richtigen Entscheidungen und kann Informationen schneller verarbeiten. Werden Shooter alleine gespielt, kann die Gefahr bestehen, dass man – ähnlich wie beim Online-Trolling – in eine anonyme Rolle rutscht und sich respektlos und beleidigend gegenüber anderen verhält. Davon rät die Expertin demnach ab.
So groß die Faszination durch Spiele ist, so groß ist auch die Identifikation. Besonders wichtige Schlagworte in diesem Zusammenhang sind Empathie, Austausch und Emotionen. Games können niemanden therapieren, aber sie geben einem das Gefühl verstanden zu werden, helfen Druck abzulassen und können auch dafür sorgen, Gleichgesinnte zu treffen.
Literaturhinweise:
- https://www.vice.com/de/article/7x59bq/fuenf-games-gegen-aengste-und-depressionen-die-dir-ein-besseres-gefuehl-geben
- https://www.deutschlandfunkkultur.de/computerspiele-und-mental-health-der-umgang-mit-den-inneren.2156.de.html?dram:article_id=454184
- https://www.wnycstudios.org/podcasts/notetoself/episodes/self-help-video-games
- https://www.vice.com/de/article/a35zwe/health-games-menschen-erzaehlen-wie-games-krankheiten-lindern-depressionen-angst